Die Vergegenwärtigung der Vergänglichkeit (anicca) aller Dinge ist ein Wissen, das enorm viel Potenzial mit sich bringt, zum Beispiel für das überwinden von Begehren, Süchten aber auch negative emotionalen Geistestrübungen (kilesa) usw. Diese, den Geist trübenden Leidenschaften können im Hinblick, dass sie der Vergänglichkeit unterworfen sind, schnell und einigermassen einfach losgelassen werden. Wenn man durch eine meditative Praxis die Vergänglichkeit aller Gefühle, Gedanken, aller Zustände, aller Dinge allgemein erkannt hat, hat man einen Erfahrungsschatz sondergsleichen gewonnen.
Vergänglichkeit (anicca) durch die eigene Erfahrung in sich selber erkennen wird nicht umsonst so hoch angepriesen, es ist der direkte Zugriff auf die Wahrheit, wie die Welt wirklich ist, nämlich ein ständiges Fliessen, ein Entstehen und Vergehen. Es ist ein direkter Weg zum Nibbana. Denn wenn einmal begriffen, lösen wir das Greifen nach Vergänglichem. Durch die Betrachtung der Vergänglichkeit ergibt sich die Betrachtung der Reizlosigkeit, das Auflösen und das Loslassen der Fünf-Daseinsgebiete und überhaupt, alles was ergriffen wird.
«Noch weit mehr wert als die beste Übung in liebevoller Gesinnung sei es, auch nur einen Augenblick in Betrachtung der Vergänglichkeit zu weilen» ¹
Die Erkenntnis der Unbeständigkeit (anicca) sollte nicht auf die leichte Schulter genommen werden und einfach als verstanden abgetan werden. Jedem ist bewusst, auch jedem Materialisten, dass alles mehr oder weniger Vergänglich ist. Ein Entstehen und Vergehen lässt sich ganz einfach in der Welt, im Aussen, beobachten. Die Tageszeiten, das Wetter, die Stimmungen der Mitmenschen, Geräusche, Jahreszeiten, sie zeigen jedem Menschen die Wandelbarkeit aller Dinge. Das konzeptionelle Verständnis der Vergänglichkeit sollte so her jedem klar sein. Gerade weil es so offensichtlich scheint, wird es aber nicht genau angeschaut, bzw. Nicht in Weisheit umgewandelt.
Loslassen
Worum es aber hier geht, ist die absolut durchdringende Erfahrung, dass «man» selber der absoluten Unbeständigkeit untersteht und dies kann man weise nutzen. Jeder Streit, jeder Trauer, jedes Suchtverhalten entsteht und vergeht wieder und desto weniger die jeweiligen Zustände ergriffen bzw. an ihnen angehaftet werden, desto schneller vergehen sie wieder und desto weniger leiden wir. Wir versuchen diesen Geistestrübungen keinen weiteren Treibstoff zu geben.
Vergänglichkeit ist also mit Loslassen verknüpft bzw. Loslassen ist eine Qualität der Vergänglichkeit. Die Identifizierung mit diesen so eindeutig wandelbaren Zuständen entschwindet immer mehr und verschafft uns eine Gelassenheit und Seelenruhe noch nie gekannten Ausmass, und zwar nicht nur wenn wir formell sitzen, sondern auch durch den Alltag, der ganze Lebensstil wird umgewandelt.
Vergänglichkeit (anicca) sollte nicht einfach ein intellektueller Gedankengang sein, es sollte zutiefst erfahren und verstanden werden. Anhand der fünf Daseinsgruppen (khandhas) lässt sich die Vergänglichkeit sehr klar erfahren. Bei der Daseinsgruppe der Form (rupa-khandha), welche eigentlich als ziemlich permanent angeschaut werden kann, fällt bei näherer Betrachtung die Illusion der Beständigkeit.
Unsere Körper, von aussen betrachtet verändert sich auch dauernd, nun er altert, aber dies geht langsam von statten oder? Wenn wir genau hinsehen würden, wie es der Buddha gemacht hat, würden wir ein ständiges Entstehen und Vergehen auf der tiefsten Ebene unseres Körpers, in den Grundelementen, sehen. Dies geschieht in einer so schnellen Abfolge, dass wir es mit unserer begrenzten Sinneswahrnehmung nicht wahrnehmen können. Dennoch geschieht es andauernd, alles fliesst und pulsiert. Unsere Zellen haben sich alle 7 Jahren selbst erneuert, sind also nicht mehr die gleichen. Und mit der Zeit können wir auch im äusseren Erscheinungsbild deutliche Veränderungen wahrnehmen.
Aber nicht nur bei uns, überall anders können wir die Zeichen der Zeit sehen, auch etwas so bestandhaftes wie die Kugel, auf der wir leben, entsteht und vergeht, auf molekularer Ebene ist sie uns gleich, denn sie besteht aus den gleichen Bestandteilen (Atomen) wie wir. Auf der Makrokosmos Ebene scheint sich die Dinge nicht eindeutig zu verändern, jedenfalls in einem ganz anderen Zeitmassstab, wir sehen die Veränderungen vielleicht nur an den Umwälzungen, aber auch unsere Erde wird einmal vergehen, so wie die Sonne und auch unser Universum vergeht, und wieder neu entstehen wird. Die Inder nannten übrigens den Kosmos das Ein-und Ausatmen Brahmas. Der Atem ist das Sinnbild schlechthin für Entstehen und Vergehen.
Paticca-samuppāda
Beim meditieren kann die Vergänglichkeit (anicca) sehr eindrucksvoll an der Atmung, an den Gedanken und an den Gefühlen wahrgenommen werden. Alles entsteht und vergeht nach einer Weile wieder, gleich so beim physischen Schmerz, zum Beispiel vom langen meditieren im Sitzen. Durch die Achtsamkeit kann ein weiterer Bezugspunkt der Vergänglichkeit erkannt werden, der der bedingten Abhängigkeit.
Die bedingte Entstehung (paticca-samuppāda), wie sie vom Buddha erkannt und genannt wurde, ist ein Kern seiner Lehre. Kurz erläutert: Steht alles in ständiger Wechselwirkung mit einander, alles bedingt in irgendeiner Weise das andere. Stetige Veränderung (Fliessen) in Abhängigkeit ist die Kernaussage.
Als Gleichnis dient sehr oft ein Fluss. Ein Fluss ist ein ständiges Fliessen, sein Erscheinungsbild verändert sich scheinbar nur langsam, manchmal führt er viel, manchmal wenig Wasser, manchmal schmutziges, manchmal klares Wasser. Dennoch ist er nie der gleiche Fluss, den man zu sehe wähnt. Die Wassermassen die er mit sich führt verändern ihn die ganze Zeit, nur seine scheinbare stetige Tendenz zu fliessen scheint die gleiche zu sein, aber bei näherer Betrachtung sieht man auch da, dass sie sich ständig in Abhängigkeit verändert.
So ist auch das Leben und wir selber ein ständig, sich wandelnder Fluss von Momenten, aufbauend und sich verändernd auf dem vorherigen Moment.
Fussnoten
¹ Aṅguttara Nikāya 9. 20
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